Mary Anning

Vom Klippenkind zur Wegbereiterin der Paläontologie

Geboren: 21.05.1799 in Lyme Regis, Vereinigtes Königreich

Verstorben: 09.03.1847 in Lyme Regis, Vereinigtes Königreich

Porträt der Paläontologin Mary Anning in viktorianischer Kleidung als Pionierin der Fossilienforschung

Wer ist Mary Anning?

Mary Anning war eine Selfmade-Wissenschaftlerin im besten Sinne – klug, unbeirrt und ihrer Zeit weit voraus. Im England des 19. Jahrhunderts, als Frauen in der Wissenschaft bestenfalls belächelt wurden, legte sie mit bloßen Händen den Grundstein für die moderne Paläontologie. Ihre Entdeckungen wie der Ichthyosaurus und der Plesiosaurus erschütterten die Vorstellungen der damaligen Welt. Trotzdem rang sie ihr ganzes Leben lang um Anerkennung. Heute gilt sie als Ikone der Wissenschaft und des Female Empowerments – und das völlig zu Recht.

Die Geburt einer Entdeckerin: Mary Anning

Geboren wurde Mary Anning am 21. Mai 1799 in Lyme Regis, einem Küstenstädtchen an der dramatischen Jurassic Coast. Die Familie war arm, gehörte zur Arbeiterklasse und musste jeden Penny umdrehen. Schon als kleines Mädchen streifte sie mit ihrem Vater Joseph über die Klippen und sammelte Fossilien, die sie liebevoll „Curiosities“ nannten. Diese frühen Exkursionen wurden zur Überlebensstrategie – die Fossilien verkaufte die Familie an Touristen. Als Mary elf Jahre alt war, starb ihr Vater an Tuberkulose. Mit seinem Tod verlor die Familie nicht nur den Ernährer, sondern auch den einzigen Menschen, der Marys naturwissenschaftliche Neugier aktiv gefördert hatte. Doch anstatt sich ihrem Schicksal zu beugen, wurde Mary zur Hauptverdienerin – mit Hammer, Meißel und einem unerschütterlichen Blick für das Verborgene im Gestein.

Der Ichthyosaurus und der Anfang einer Legende

Im Winter 1811 entdeckte Marys Bruder Joseph einen fossilen Schädel an einem Felsen, den Mary wenig später vollständig freilegte: das erste nahezu vollständige Skelett eines Ichthyosaurus. Sie war gerade einmal 12 Jahre alt. Der Fund machte in Fachkreisen Furore und gelangte über den Fossiliensammler Henry Hoste Henley zu Everard Home, einem bekannten Naturforscher. Home veröffentlichte die Entdeckung 1814 in der Royal Society – ohne Marys Namen zu erwähnen. Der erste wissenschaftliche Meilenstein, den sie der Welt schenkte, wurde nicht ihr zugeschrieben. Diese Praxis war symptomatisch für ihre Zeit – die Beiträge von Frauen blieben oft im Schatten, selbst wenn sie im Zentrum standen.

Nahezu vollständiges Skelett eines Ichthyosaurus, 1818 von Mary Anning entdeckt, gestochen von James Basire II nach einer Zeichnung von William Clift.

Nahezu vollständiges Skelett eines Ichthyosaurus, 1818 von Mary Anning entdeckt, gestochen von James Basire II nach einer Zeichnung von William Clift; veröffentlicht zusammen mit zwei Aufsätzen von Everard Home in den Philosophical Transactions of the Royal Society of London, Band 109, 1819 (Linda Hall Library).

Der Plesiosaurus sorgt für Aufsehen

Im Jahr 1823 entdeckte Mary Anning das erste vollständige Skelett eines Plesiosaurus. Das Tier mit seinem langen Hals und paddelartigen Gliedmaßen schien so bizarr, dass Georges Cuvier – der führende Paläontologe Frankreichs – die Echtheit des Fundes zunächst anzweifelte. Doch Mary ließ sich nicht entmutigen. Ihre präzise Dokumentation und ihr wissenschaftlicher Scharfsinn überzeugten schließlich sogar Cuvier. Der Fund wurde von William Conybeare veröffentlicht. Zwar nannte er Marys Namen – aber die Deutungshoheit und das Ansehen blieben bei ihm. Marys Erkenntnisse flossen regelmäßig in Publikationen ein, ohne dass sie gleichwertig als Autorin oder Expertin anerkannt wurde.

Lithografie des Skeletts von Plesiosaurus dolichodeirus, gefunden von Mary Anning im Jahr 1823.

Lithografie des Skeletts von Plesiosaurus dolichodeirus, gefunden von Mary Anning im Jahr 1823, veröffentlicht in den „Transactions of the Geological Society of London“ von 1824.

Zwischen Anerkennung und Armut: Die leise Rebellion der Mary Anning

Mary Anning lebte in einer Welt, in der wissenschaftliche Netzwerke, akademische Gremien und Veröffentlichungen fest in männlicher Hand waren. Die Geological Society of London – zu deren wichtigsten Fossil-Lieferanten sie faktisch gehörte – ließ sie nicht als Mitglied zu. Zwar wurde sie respektiert und gelegentlich sogar konsultiert, doch blieb sie auf Distanz gehalten. William Buckland veröffentlichte 1829 seine Erkenntnisse über Koprolithen, basierend auf Marys Funden. Richard Owen nutzte ihre Entdeckungen zur Formulierung seiner Theorien über urzeitliche Reptilien – beides ohne sie angemessen zu würdigen. Mary selbst konnte weder ihre eigenen Erkenntnisse publizieren noch bei Konferenzen sprechen. Ihre Kompetenz war anerkannt, doch der Zugang zur Bühne blieb ihr verwehrt. Diese strukturellen Ausschlüsse wirkten subtil, aber effektiv – ein wissenschaftliches Glasdach, das kaum zu durchbrechen war.

Berühmte Zitate von Mary Anning

  • „The world has used me so unkindly, I fear it has made me suspicious of everyone.“ => „Die Welt hat mich so unfreundlich behandelt, ich fürchte, sie hat mich allen gegenüber misstrauisch gemacht.“

Die nicht zu brechende Leidenschaft der Mary Anning

Trotz all dieser Hürden blieb Mary Anning ihrer Leidenschaft treu. Ohne formale Ausbildung, aber mit unermüdlichem Forschergeist, entwickelte sie sich zur führenden Fossilienexpertin Englands. Ihre Sammlung und Systematisierung von Fossilien beeinflusste ganze Generationen von Geologen und Paläontologen. Unterstützt von Einzelpersonen wie Henry De la Beche, der ihr mit der Lithographie „Duria Antiquior“ zu finanzieller Hilfe verhalf, baute sie sich ihren Ruf Stück für Stück auf. Ihre Arbeit verband Präzision mit Intuition, Detailgenauigkeit mit dem Gespür für das große Ganze. Und selbst wenn sie im wissenschaftlichen Rampenlicht nur selten erschien – in den Gesteinsschichten der Jura-Zeit hatte sie längst ihre Spuren hinterlassen.

„Ammonite“: Eine fiktive Liebesgeschichte trifft auf echte Wissenschaft

Mit dem Spielfilm „Ammonite“ (2020) auf Netflix/ Amazon Video wurde Mary Anning erstmals auf der großen Bühne sichtbar. Regisseur Francis Lee inszenierte ein stilles, atmosphärisches Drama über Isolation, Leidenschaft und weibliche Autonomie. Kate Winslet verkörpert Mary als stoische, verletzliche Frau, die sich nicht beugen lässt, während Saoirse Ronan die Rolle der Charlotte Murchison übernimmt – eine Figur, die lose auf einer realen Zeitgenossin basiert, jedoch fiktional überhöht wurde. Die lesbische Liebesgeschichte im Film ist nicht historisch belegt, spiegelt jedoch Marys reale gesellschaftliche Ausgrenzung wider. Der Film zeigt eine Frau, die alles gibt – und doch kaum etwas zurückbekommt. „Ammonite“ rückt nicht nur Mary Anning, sondern auch das oft ignorierte weibliche Kapitel der Wissenschaftsgeschichte ins Rampenlicht.

Trailer:

Nach dem Tod von Mary Anning: Die späte Rückkehr ins Rampenlicht

Mary Anning starb am 9. März 1847 im Alter von 47 Jahren an Brustkrebs. Ihre letzten Lebensjahre waren geprägt von Krankheit und Einsamkeit. Die Geological Society, die sie zeitlebens ausgeschlossen hatte, finanzierte immerhin ihre Beerdigung und veröffentlichte einen Nachruf – den ersten überhaupt für eine Frau. Doch erst viele Jahrzehnte später begann eine echte Würdigung. 2010 wurde sie von der Royal Society als eine der zehn einflussreichsten britischen Wissenschaftlerinnen ausgezeichnet. 2022 wurde nach einer von der damals elfjährigen Evie Swire initiierten Kampagne eine Bronzestatue von Denise Dutton in Lyme Regis enthüllt. Sie zeigt Mary mit einem Fossilkorb in der Hand – entschlossen, stark und unübersehbar.

Ein Name, der bleibt: Was nach Mary Anning benannt wurde

Heute erinnert eine ganze Reihe von Ehrungen an Mary Anning – nicht nur in Museen, sondern auch in der Wissenschaft selbst. Der Asteroid Maryanning (pron. mar-ee-an-ing) wurde 2010 nach ihr benannt. Ebenso existiert das Forschungsschiff RRS Mary Anning, das vom British Antarctic Survey eingesetzt wird. In der geologischen Fachliteratur trägt eine vulkanische Struktur auf dem Mars – „Anning Formation“ – ihren Namen. Zudem wurden mehrere fossile Spezies ihr zu Ehren benannt, darunter Brachypterygius extremus anningae, ein ausgestorbener Meeressaurier. Schulen, Ausstellungen, Straßennamen und Statuen weltweit setzen ihr ein bleibendes Denkmal. Ihr Name ist heute mehr als historisch – er ist identitätsstiftend für junge Forscherinnen und neugierige Geister weltweit.

Female Empowerment mit Fossilienstaub

Mary Anning war nicht einfach eine Sammlerin. Sie war eine Denkerin, eine Visionärin, eine Frau, die sich mit Ausdauer, Intelligenz und Hingabe einen Platz in der Geschichte der Wissenschaft erarbeitete. Ohne akademische Ausbildung, aber mit scharfem Verstand und unbeirrbarem Willen schrieb sie Herstory. Heute inspiriert sie Generationen von Frauen, die sich für Wissenschaft, Geschichte und Gleichberechtigung stark machen. Ihre Geschichte erinnert uns daran, wie viele Genies unerkannt bleiben – weil sie zur falschen Zeit im falschen Körper lebten. Mary Anning ist ein Leuchtfeuer – für alle, die wissen wollen, was möglich ist, wenn man sich nicht kleinmachen lässt.

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Auch unvergessen:

Bildquellen

  • Mary Anning (Porträt, 1847) — Foto: B. J. Donne.
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    Anpassungen: Hintergrund entfernt.
  • Skelett eines Plesiosaurus (1823) — Illustration: Thomas Webster (1773–1844).
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  • Ichthyosaurus (1819) — Illustration: Philosophical Transactions of the Royal Society of London, Bd. 109 (1819). Quelle: Linda Hall Library.
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Textquellen

  • Eylott, Marie-Claire (o. J.): „Mary Anning: the unsung hero of fossil discovery“. In: Natural History Museum.
  • Lyme Regis Museum (o. J.): „Mary Anning’s Story“. In: LymeRegisMuseum.co.uk.
  • IMDb (o. J.): „Ammonite“. Mit Rezensionen und Interviews (The Guardian, BBC, Netflix Media Center). In: IMDb.
  • Mary Anning Rocks (o. J.): „Mary Anning Rocks – Charity Initiative“. In: MaryAnningRocks.co.uk.
  • NASA JPL (o. J.): „Asteroid Database – Maryanning“. In: NASA Jet Propulsion Laboratory.
  • Clary, Renée (2019): „Mary Anning: She Sold (Fossil) Sea Shells by the Seashore“. In: Geosociety.org.
  • Kienle, Dela (2019): „Vor unserer Zeit: Mary Anning“. In: Plan17.de.